8. Istanbul – Ich komme!
Die letzten Fahrradtage werden wieder etwas angenehmer. Der Regen hat sich verzogen und milde Temperaturen und Sonne kehren wieder ein. Und außerdem bin ich wieder am Meer. Küstenstraßen sind schon sehr besonders und wunderschön. An die bellenden Hunde habe ich mich gewöhnt und auch die Berge muss ich nicht mehr so sehr fürchten, wie zu Beginn. Die letzten 650 Kilometer werde ich noch einmal richtig genießen. So ist der Plan.
Kurz nach Thessaloniki erreiche ich auch die 3000 Kilometer Marke. Bei bestem Wetter, kaum Bergen und einer grandiosen Aussicht auf das Meer. Besser kann ein 3000 Kilometer Punkt nicht sein.
In der Nähe von Kavala darf ich noch einmal bei sehr netten Warmshower Leuten nächtigen. Iris und Jan haben mir diesen Platz empfohlen. Die beiden sind mir jetzt nämlich einen Tag voraus und können somit prima Informationen und Tipps weitergeben.
So auch zu Wildcamp Plätzen. Ok, bisher war ich allein nicht oft wild campen. So richtig sicher fühle ich mich dabei (noch?) nicht. Aber am Ende muss das aber noch einmal mitgenommen werden. Zumal jetzt eben auch das Wetter wieder besser ist. In Porto Lagos gibt es ein kleines Wäldchen. Ich weiß eben von Iris und Jan, dass es ein guter Platz ist. Also gehe ich zum Sonnenuntergang in das Wäldchen, welches direkt am Meer gelegen ist. An kleinen verlassenen Häusern warte ich bis es etwas dunkler wird.
Jetzt höre ich allerdings hier und da Menschen. Entweder laufen oder fahren sie vorbei oder gehen Fischen. So richtig ruhig ist es nicht. Ich habe etwas Bedenken, ob mich hier auch wirklich niemand entdeckt. Ich warte also noch etwas länger und als bereits die Dunkelheit hineinreicht, baue ich mein Zelt auf. Etwas weiter versteckt im Wald. Nicht so ganz ruhig schlafe ich dennoch bald ein.
Am nächsten Morgen, als es noch dämmert, packe ich meine sieben Sachen und gehe in ein Café. Von Iris und Jan erfahre ich, dass eine von kommod vorgeschlagene Route voll mit Dornen ist und sie beide nun einen Platten haben. Auch Anne und ihre Mitradlerin landen in dem Dornenfeld und haben schließlich Platten. Gut, diese Information vorab zu bekommen, denn auf einen Platten kann ich die letzten Kilometer doch ganz gut verzichten. Auch wenn ich den Weg vermutlich nicht gewählt hätte, da ich langsam sehr skeptisch gegenüber vorgeschlagenen nicht befestigen Wegen bin. Nein, Offroad fahren macht mir nur bedingt Spaß. Aber dennoch ist sind das sehr hilfreiche Tipps.
Iris und Jan sind also wenige Kilometer entfernt damit beschäftigt, ihre Platten zu flicken und ich hole sie ein. Gemeinsam und mit geflickten Reifen fahren wir weiter.
Es ist sehr unterhaltsam und spannend mit ihnen zu reisen. Sie reisen nicht nur des Reisens wegen, sondern haben ein Projekt auf die Beine gestellt: „Cycling for Society. For Stigma free Society“ Sie setzten sich in den verschiednen Ländern für psychische Gesundheit ein und machen auf Probleme in der Gesellschaft in Hinblick auf Stigmatisierungen aufmerksam. Dabei arbeiten sie mit verschiedenen Organisationen zusammen. Ein sehr interessantes und unterstützenswertes Projekt.
Die beiden zelten fast immer wild oder nutzen Warmshower. Zusammen finden wir in der Nähe von Alexandroupolis einen wunderschönen Wildzeltplatz. An der Klippe, direkt am Meer. Schöner kann ein Zeltplatz nicht sein. Und zu dritt fühle ich mich auch nicht mehr unwohl. Das ist tatsächlich ein Vorteil, wenn man nicht allein reist.
Am nächsten Tag verlassen wir tatsächlich schon wieder Griechenland. Unterwegs treffen wir noch Flo und fahren zu viert weiter. Der Tag ist wunderschön. Die Sonne scheint und wir haben ausnahmsweise mal Rückenwind. Dann hält ein Truckfahrer an und gibt uns Mittagessen. Brot, Nudeln, Salat und Saft. Wir sind begeistert. Und so langsam nähern wir uns der Türkei. Das zehnte Land auf meiner Riese. Unglaublich, dass ich es tatsächlich bis hierher geschafft habe. Mit dem Fahrrad in die Türkei. Dementsprechend sind wir alle aufgeregt und sehr glücklich an diesem Tag. Ohne Probleme dürfen wir alle einreisen. Yuhuu!!! Wir sind in der Türkei. Verrückt.
Am Abend zelte ich noch einmal mit Iris und Jan. Flo hat kein Zelt dabei und sucht sich ein nahegelegenes Hotel. Auch an diesem Tag finden wir einen sehr schönen Platz. Allerdings gibt es ein paar Hunde in der Gegend. Aber sie sind alle ganz freundlich und zutraulich. Das ist auch tatsächlich schon meine letzte Campingnacht. Da werde ich auch etwas wehmütig, war doch meine Naturehike eine gute Begleitung in der letzten Monaten.
Am Folgetag verlassen mich Iris und Jan und fahren weiter in Richtung Süden. Mit Flo geht die Reise weiter Richtung Istanbul. Je weiter wir uns der Metropole nähern, umso voller werden die Straßen.
Bisher lässt es sich ganz gut fahren, denn es gibt fast immer einen recht breiten Seitenstreifen. Doch dieser verschwindet hin und wieder. Hinzukommt eines Tages ein starker Seitenwind. Das macht die Sache ziemlich gefährlich. Aber es gibt keine oder kaum andere Straßen. Und ungeteerte Wege mag ich auch nicht fahren. Ziemlich verzwickt. Aber wir haben keine andere Wahl. Nach einer Weile kommt auch der geliebte Seitenstreifen wieder. Zum Glück. Am Abend bevor wir Istanbul erreichen, erhalten wir einen Einblick in den türkischen Feierabendverkehr. Auf einer fünfspurigen Straße drängen sich sämtliche Autos, Trucks, Busse, Motorradfahrer und auch zwei Fahrradfahrer. Also das ist tatsächlich nicht einfach. Und ja, ich habe schon etwas Angst. Die beiden rechten Spuren sind immer wieder Zu- und Abfahrten. Da können wir nicht fahren, ohne ständig die Spur wechseln zu müssen. Also fahren wir auf den mittleren drei Spuren. Hier fahren die Autos allerdings etwas flotter. Das ist zu viel. Kurz bleibe ich stehen und muss mich wieder fangen. Das ist wirklich nicht leicht zu meistern. Ist das der Vorgeschmack auf Istanbul? Na bravo! Kann ja noch heiter werden.
Der Folgetag ist der Tag der Tage. Es ist der 26. Oktober 2021 und wir erreichen Istanbul. Verrückt. Auch wenn es noch einige stark befahrene Straßen gibt, ist der Tag dennoch entspannter, denn es gibt auch viele Fahrradwege und außerdem liegen nur noch ca. 30 Kilometer vor uns bis wir die Hagia Sophia erreichen. Voller Vorfreude und bei bestem Wetter fahren wir in die riesige Metropole. Wir radeln am Wasser entlang und die Spannung steigt, dass wir nach jeder Kurve die blaue Mosche und die Hagia Sophia sehen könnten. Aufregend. Und dann sieht man die Silhouette schon von Weiten. Wir haben es geschafft. Ich habe es geschafft. Hamburg. Istanbul. Unglaublich. Noch müssen wir uns durch das wirre Straßentreiben schlängeln, doch auch das ist kurzerhand erledigt und wir erreichen die Hagia Sophia und die Blaue Moschee.
BÄM! 3526 Kilometer. 10 Länder (Deutschland, Tschechien, Österreich, Slovenien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Albanien, Griechenland und Türkei) 92 Tage, 47 Tage davon auf dem Rad, 75 Kilometer habe ich an Fahrradtagen durchschnittlich zurückgelegt mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 15 Kilometer pro Stunde. Und ich hatte keinen einzigen Platten. Danke an Marathon Schwalbe Plus dafür. Leider habe ich auch nicht wirklich lernen können, wie man einen Platten flickt. Aber das kann ich ein anderes mal auch noch lernen. Und nun stehe ich hier. In Istanbul. Vor der Hagia Sophia.
Allerdings auch mit gefühlten tausend anderen Touristen. Ja, Istanbul ist voll. Das bemerkt man sofort. Dementsprechend schwierig gestaltet sich die Weiterfahrt zum Hotel, denn vor allem im Taksim Viertel wimmelt es nur so vor Menschen. Egal, irgendwann schaffen wir auch die sieben Hügel der Stadt und erreichen gen Abend das Hotel. Darauf muss natürlich angestoßen werden.
Ziemlich erschöpft aber sehr zufrieden und glücklich lassen wir den Tag ausklingen. Die nächsten Tage wird die Stadt erkundet. Auch wenn ich die wichtigsten Sehenswürdigkeiten bereits kenne, ist es dennoch toll, neue Ecken zu entdecken und Altbekanntes wieder zu sehen.
Aber schon nach einigen Tagen habe ich Schwierigkeiten mit den Menschenmassen. Durch Covid bin ich das ja nur gar nicht mehr gewohnt und auch die Radreise hat mich eher in der ruhigen Natur verweilen lassen. Diese Anzahl an Menschen ist mir tatsächlich zu viel. Die Haupteinkaufsstraße Istikal ist bereits am Mittag voll. Hinzukommt, dass wir einen nationalen Feiertag mitnehmen. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind teilweise ausgesetzt und die Stadt platzt förmlich aus allen Nähten. Keine Chance sich auch nur irgendetwas in Ruhe anzuschauen. Also daran muss ich mich erst wieder gewöhnen. Wobei ich gar nicht weiß, ob ich mich wieder an Menschenmassen gewöhnen möchte.
Dennoch verbringen wir ein paar wunderschöne Tage. Dabei darf das türkische Hamam nicht fehlen und es wird auch allerhöchste Zeit mal wieder zum Friseur zu gehen. Auch shoppen steht auf dem Programm, denn einige Sachen müssen ausgetauscht oder erneuert werden. Und Essen. Yummie. Türkische Küche ist ja so lecker. Und es gibt so viele vegetarische Möglichkeiten. Ja doch, wir lassen es uns gut gehen. Nach ein paar Tagen fliegt Flo zurück nach Berlin und ich treffe noch ein paar Bekannte bzw. Freunde.
Nach einer Woche wildem Treiben ist’s dann aber auch wieder gut mit Großstadt. Ich sehne mich nach etwas Ruhe. Bevor die Reise weiter geht, möchte ich noch ein paar Tage entspannen. Und der beste Ort dafür ist die Farm in der Nähe von Shkodra und Albanien. Klingt jetzt vielleicht erst einmal eigenartig, warum ich nach Albanien zurückfahre, aber irgendwo muss ich ja mein Fahrrad überwintern lassen und auf der Farm ist das möglich. Auch kann ich mir ein Paket schicken lassen, denn ich brauche meinen Reiserucksack und meine Wanderschuhe. Denn so schön radeln auf ist, nach 3526 Kilometer reicht es erst einmal und ich kehre zurück zum Backpacken. Denn es wird Winter und Kälte mag ich ja gar nicht. Also muss es definitiv ins Warme gehen und so flott bin ich mit dem Rad nicht.
Da Albanien sowieso auf meinem Rückweg liegt und ich die Farm und die Menschen dort sehr mag, bringe ich also Siggi dorthin.
Das ist allerdings erst einmal mit etwas Nervenkitzel verbunden, denn die einzige Busfirma, die nach Albanien fährt, kann mir bis kurz vor der Abfahrt nicht sagen, ob sie mein Fahrrad mitnehmen können. Das hängt vom Busfahrer und dem mitgebrachtem Gepäck ab. Also ist eine Zitterpartie angesagt. Auch der Weg zum Busbahnhof gestaltet sich schwierig. Auch wenn es nur 8 Kilometer sind, bevorzuge ich die Metro. Denn der Verkehr in Istanbul ist katastrophal. Alle befragten Taxis wollen mich eher abziehen und verlangen gleich mal den vierfachen Preis. Das sehe ich nicht ein und versuche mein Glück in der Metro. Das klappt soweit ganz gut. Bis zur letzten Station sind alle Aufzüge so groß, dass mein Fahrrad mit dem gesamten Gepäck hineinpasst. Nur am Busbahnhof angekommen, ist der Fahrstuhl zu klein. Ich muss also die Rolltreppe nehmen und natürlich schaffe ich das nicht. Das Gewicht des Fahrrads (mit allen drum und dran um die 45 Kilo) ist zu schwer und ich purzele rückwärts die Rolltreppe hinunter und liege wie ein Käfer auf dem Rücken. Autsch. Ok, ein Versuch war es wert. Zum Glück kommt mir ein Mann zur Hilfe und hilft mir wieder auf die Beine. Außer ein paar Schrammen ist nichts passiert. Zum Glück. Dennoch stehe ich noch immer unten an den Gleisen. Ich frage also einen weiteren Mann, ob er mir kurz helfen kann. Zu weit kann das Fahrrad dann doch die Rolltreppen hinaufbefördert werden.
Typisch deutsch habe ich natürlich noch reichlich Zeit bis der Bus abfährt und verbringe die Zeit essend in einem Restaurant. Am Bus verläuft dann alles nach Plan und mein Fahrrad findest Platz im Bus.
Die Fahrt bis nach Shkodra dauert ca. 17 Stunden und beinhaltet vier Grenzübergänge. Zunächst fährt der Bus nach Bulgarien, dann gehts weiter über Nordmazedonien und Kosovo nach Albanien. Tatsächlich sind die Grenzübergänge auch die einzigen Möglichkeiten auf Toilette zu gehen, denn Pausen gibt es nicht. Schwierig, wenn es im Bus keine Toilette gibt. Nun denn, auch das schaffe ich irgendwie und lande kurzerhand wieder in Albanien auf der Farm.
Jetzt habe ich zwei Wochen Zeit, um zu entspannen und um auf der Farm mit anzupacken. Hier gibt es auch immer etwas zu tun. Von Essen vorbereiten, putzen, umräumen, Hunde und Katzen füttern bis hin zur Unterstützung bei einem Baumpflanzprojekt.
Die Katzen haben es mir natürlich sehr angetan und ich darf einer kleinen Katze einen Namen geben. Raki soll sie heißen. Der Name ähnelt Draki, der Flauschmaus, die bei mir wohnte, bis sie nach Finnland umzog. Raki sieht ihr etwas ähnlich von der Fellgebung her. Da aber Raki für albanische Leute einfacher zu merken ist, wird aus Draki Raki. So ein süßes Kätzchen.
Es ist toll, nach den drei Monaten auf Achse zu sein, auch mal irgendwo etwas zu verweilen. Aber lange bleibe ich nicht, denn es gibt so so viel zu erkunden. Wo es mich als nächstes hin verschlägt, berichte ich demnächst.
Bis dahin
Besito